Mittwoch, 3. Mai 2017

Die Himmelscheibe von Nebra

Die Himmelsscheibe von Nebra gilt als archäologischer Sensationsfund. Das 3600 Jahre alte Artefakt ist die älteste konkrete Himmelsdarstellung der Welt. Und was Astronomen wie Laien gleichsam fasziniert, ist der Umstand, daß jeder Betrachter umgehend zu verstehen glaubt, was auf ihr zu sehen ist: Sonne, Mond und Sterne. Aber welchem tieferen Sinn folgt deren Anordnung?
Bislang war bekannt, daß die Bögen am linken und rechten Rand der Scheibe offensichtlich zur Bestimmung der Sonnwendtage (21. Juni und 21. Dezember) dienten. Für den dritten Bogen liegt die Annahme nahe, es handele sich dabei um eine Sonnenbarke. Schon kurz nach der Sicherstellung der Himmelsscheibe wurde den Forschern deutlich, daß die drei Bögen erst später, von anderen Handwerkern und mit Gold anderer Provenienz, hergestellt worden waren. Auch deshalb lag es auf der Hand, das ursprüngliche Bildprogramm zu untersuchen, mit „Sonne“, Mondsichel und 32 goldenen Punkten, von denen sieben eine Rosette (Plejaden) bilden.

Ein schlüssige Interpretation
Tatsächlich ist es dem Astronomen Rahlf Hansen vom Planetarium Hamburg nun gelungen, eine schlüssige Interpretation der Scheibe in ihrer ursprünglichen Ausgestaltung zu erarbeiten, die auch erklärt, warum das Artefakt überhaupt angefertigt wurde. Hansen fand heraus, daß es sich bei der Himmelsscheibe um eine weitaus komplexere astronomische Uhr handeln muß als bislang angenommen. Ihr Bildprogramm entspricht exakt einer aus Babylon bekannten Schaltregel, die es möglich macht, das Sonnenjahr (365 Tage) und das Mondjahr (354 Tage) in Einklang zu bringen.
Die Babylonier hatten erkannt, daß die Stellung des Mondes zu den Plejaden wie der Zeiger einer kosmischen Uhr funktioniert. Sonnenlauf und Mondjahr sind synchron, wenn im Frühlingsmonat eine dünne Sichel bei den Plejaden erscheint. Wird sie zu dick, ist der Kalender außer Takt. Ein Schaltmonat muß eingefügt werden. Eine erste schriftliche Version dieser Regel findet sich in einem babylonischen Keilschrifttext, dem mul-apin (7./6. Jahrhundert vor Christus). Wenn aber die Sichelform auf der Scheibe so frappant jener am Himmel zu beobachtenden Sichel ähnelt, liegt die Annahme nahe, daß auch die Anzahl der Sterne auf der Scheibe kein Zufall sein kann.
Und tatsächlich dienten die 32 goldenen Punkte als Zählhilfe: Wenn der Mond erst nach 32 statt 30 Tagen nach dem Beginn des Vormonats bei den Plejaden erscheint, ist dies ein zusätzliches Schaltsignal. „Die Schaltregel ist also zweifach verschlüsselt auf der Scheibe: einerseits durch die Dicke der Mondsichel und andererseits durch die 32 Punkte“, sagt Hansen. Die Zahl 32 hat jedoch noch eine Bedeutung, die mit der Synchronisierung von Sonnen- und Mondkalender zu tun hat: In 32 Sonnenjahren vergehen 33 Mondjahre. Deutet man das große goldene Rund auf der Scheibe als Sonne, beziehen sich die 32 Goldpunkte auf die Sonne. Rechnet man aber die Sonne zu den Punkten, kommt man auf die Zahl 33, die sich nun auf die goldene Mondsichel bezieht. Hansens Erkenntnisse widersprechen nicht der bisherigen Deutung durch den Astronomen Wolfhard Schlosser von der Ruhr-Universität Bochum, dem das Goldrund als Vollmond gilt. Vielmehr konnte Hansen zeigen, daß vor 3600 Jahren Vollmond und Frühlingsanfang zusammenfielen. „Das heißt, die Goldscheibe stellt sowohl den Vollmond als auch die Sonne dar“, sagt Hansen.
Neue Fragen aufgeworfen
Die Himmelsscheibe von Nebra diente als astronomisches Memogramm, und sie macht deutlich, daß zumindest einer Elite in der Bronzezeit viel komplexere Zusammenhänge der Himmelsmechanik bekannt waren als bislang angenommen. Auch deshalb spricht der Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, Harald Meller, von einer „spektakulären Neuentdeckung“, die freilich zu neuen Fragen führt. Woher hatte der Schöpfer der Scheibe sein astronomisches Wissen, das sich in dieser Tiefe nur über Generationen erarbeiten läßt? Handelt es sich um Wissenstransfer aus dem Vorderen Orient? Und weshalb ging das Wissen von der Schaltregel wieder verloren? Daß dem so war, bezeugt die Scheibe anschaulich: Bei der Überarbeitung mit den beiden goldenen Balken zerstörte ein Handwerker das komplexe Bildprogramm, indem er zwei Sterne überdeckte. Und schließlich: Wozu diente das ursprünglich festgehaltene Wissen? Der Herr der Himmelsscheibe in ihrer ursprünglichen Gestalt konnte jeden Tag exakt bestimmen. Verabredete er sich mit anderen (womöglich Handelspartnern), die dies auch konnten? Gibt es einen kultischen, religiösen Hintergrund? „Klar ist jedenfalls: Wir unterschätzen den prähistorischen Menschen immer wieder dramatisch“, sagt Archäologe Meller.
(Quelle: Eine Veröffentlichung in der FAZ vom 22.2.2006)

 Bildergebnis für Himmelsscheibe von Nebra- Fotos
Ich finde, diese Hintergründe sollte man kennen, um die Funde in Nebra und Dieskau verstehen  und richtig einordnen zu können.

13 Kommentare :

  1. Guten Morgen, meine liebe Irmi,
    das sind wirklich sehr interessante Hintergrundinformationen zu diesen Funden! Danke, daß Du wieder für uns recherchiert hast!
    Ich wünsche Dir einen zauberhaften Tag!
    ♥ Allerliebste Grüße und eine herzliche Umarmung, Deine Claudia ♥

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  2. Moin liebe Irmi,
    an Dit ist eine Forscherin verloren gegangen :-). Heute soll es bei mir mal trocken bleiben nach dem vielen Regen.
    LG Helga

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  3. Das finde ich wirklich eine spektakulären Neuentdeckung und ich frage mich auch immer wie damals schon sowas "gesehen" wurde. Zudem das wohl noch dazu kam das die Forscher sich nicht sicher sein konnten wie das überhaupt bei den Menschen ankommt...werden sie als Hexer, als Lügner hingestellt weil das Vorstellungsvermögen der "hohen Herren" nicht gereicht hat oder wurde es unterstützt.

    Ein ganz toller sowie interessanter Beitrag für den ich dir danken möchte. Bin ich auch heute wieder etwas schlauer geworden.

    Wünsche dir noch einen superschönen Tag und sende viele Grüsse

    N☼va

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  4. Liebe Irmi,
    von der Scheibe hatte ich schon gehört, aber soviele Details dann auch wieder nicht. Vielen Dank für deine großartigen Ausführungen, das ist ja schon fast eine kleine Doktorarbeit. Man merkt, du liest sehr viel, ich eigentlich auch, aber im Moment hat der Garten Vorrang.
    Ganz liebe Grüße
    von Edith

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  5. Danke, liebe Irmi, für deine Mühe, diese detaillierten Hintergründe noch aufzuführen. Wahnsinn ! Und das in diesen frühen Jahrhunderten. Ich habe noch keinen anderen Blog gefunden, in dem so viel Wissenswertes vermittelt, wie in deinen. Hab hier schon viel dazu gelernt und dafür danke ich dir nochmals.
    Liebe Grüße
    Laura

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  6. Liebe Irmi, hab vielen Dank für die umfangreiche Ergänzung. Man stelle sich vor, dass alles schafften sie ohne Computer, ohne wiss. Bibliothek, ohne Theodoliten, ohne Observatorium, ohne GPS, ganz allein mit der Beobachtung ihrer Umgebung und des Himmels über sehr, sehr viele Jahre schafften sie es, sich ein Modell anzufertigen, im Jahresverlauf zu überprüfen und anzuwenden. In unseren heutigen Zeit kaum einordbar.

    dir einen sonnigen Tag heute und ein klare Nacht zur Beobachtung der Sterne,
    egbert
    ;-)

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  7. Servus Irmi,
    lesen und staunen - die Menschheit wäre nicht auf dem heutigen Stand, hätte es nicht schon immer so "helle Köpfe" gegeben. Leider war und ist vieles nicht gut, was die Menschen als "Fortschritt" erdachten und erdenken!
    Schönen Wochenmittetag,
    Luis

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  8. Liebe Irmi,

    auf deinen 2. Teil war ich schon gespannt. Die Geschichte dazu ist aber auch zu interessant. Vieles ist immer noch nicht erforscht.

    Liebe Grüße
    Paula

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  9. Faszinierend, liebe Irmi,
    Danke für die ausführliche Information über diese berühmte "Scheibe"!
    Hab einen angenehmen Mittwoch und lieben Gruß
    moni

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  10. Liebe Irmi,

    das ist in der Tat sehr sehr interessant wie ich finde! Ich finde das wirklich beeindruckend.

    Liebe Grüße
    Kerstin

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  11. Die Scheibe begleitet mich seit einiger Zeit fast täglich....weil ich sie in Kleinformat an meinem Schlüsselbund hängen habe. Mein Sohn war beim Besuch des Museums in Nebra so fasziniert, dass ich ein Andenken mitgenommen habe. Der Besuch dort lohnt sich unbedingt. Leider vergisst man das meiste nach kurzer Zeit wieder....:-) Dieses Museum gibt es noch nicht so lange. Die Originalscheibe liegt allerdings gut verwahrt in Halle.
    http://www.himmelsscheibe-erleben.de
    LG Sigrun

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Ich freue mich über jeden Kommentar und möchte mich auf diesem Weg recht herzlich dafür bedanken. Kommentare sind wie das Salz in der Suppe. Ohne fehlt sehr viel.