Die
Himmelsscheibe von Nebra gilt als archäologischer Sensationsfund. Das
3600 Jahre alte Artefakt ist die älteste konkrete Himmelsdarstellung der
Welt. Und was Astronomen wie Laien gleichsam fasziniert, ist der
Umstand, daß jeder Betrachter umgehend zu verstehen glaubt, was auf ihr
zu sehen ist: Sonne, Mond und Sterne. Aber welchem tieferen Sinn folgt
deren Anordnung?
Bislang war bekannt, daß die Bögen am
linken und rechten Rand der Scheibe offensichtlich zur Bestimmung der
Sonnwendtage (21. Juni und 21. Dezember) dienten. Für den dritten Bogen
liegt die Annahme nahe, es handele sich dabei um eine Sonnenbarke. Schon
kurz nach der Sicherstellung der Himmelsscheibe wurde den Forschern
deutlich, daß die drei Bögen erst später, von anderen Handwerkern und
mit Gold anderer Provenienz, hergestellt worden waren. Auch deshalb lag
es auf der Hand, das ursprüngliche Bildprogramm zu untersuchen, mit
„Sonne“, Mondsichel und 32 goldenen Punkten, von denen sieben eine
Rosette (Plejaden) bilden.
Tatsächlich
ist es dem Astronomen Rahlf Hansen vom Planetarium Hamburg nun
gelungen, eine schlüssige Interpretation der Scheibe in ihrer
ursprünglichen Ausgestaltung zu erarbeiten, die auch erklärt, warum das
Artefakt überhaupt angefertigt wurde. Hansen fand heraus, daß es sich
bei der Himmelsscheibe um eine weitaus komplexere astronomische Uhr
handeln muß als bislang angenommen. Ihr Bildprogramm entspricht exakt
einer aus Babylon bekannten Schaltregel, die es möglich macht, das
Sonnenjahr (365 Tage) und das Mondjahr (354 Tage) in Einklang zu
bringen.
Die
Babylonier hatten erkannt, daß die Stellung des Mondes zu den Plejaden
wie der Zeiger einer kosmischen Uhr funktioniert. Sonnenlauf und
Mondjahr sind synchron, wenn im Frühlingsmonat eine dünne Sichel bei den
Plejaden erscheint. Wird sie zu dick, ist der Kalender außer Takt. Ein
Schaltmonat muß eingefügt werden. Eine erste schriftliche Version dieser
Regel findet sich in einem babylonischen Keilschrifttext, dem mul-apin
(7./6. Jahrhundert vor Christus). Wenn aber die Sichelform auf der
Scheibe so frappant jener am Himmel zu beobachtenden Sichel ähnelt,
liegt die Annahme nahe, daß auch die Anzahl der Sterne auf der Scheibe
kein Zufall sein kann.
Und
tatsächlich dienten die 32 goldenen Punkte als Zählhilfe: Wenn der Mond
erst nach 32 statt 30 Tagen nach dem Beginn des Vormonats bei den
Plejaden erscheint, ist dies ein zusätzliches Schaltsignal. „Die
Schaltregel ist also zweifach verschlüsselt auf der Scheibe: einerseits
durch die Dicke der Mondsichel und andererseits durch die 32 Punkte“,
sagt Hansen. Die Zahl 32 hat jedoch noch eine Bedeutung, die mit der
Synchronisierung von Sonnen- und Mondkalender zu tun hat: In 32
Sonnenjahren vergehen 33 Mondjahre. Deutet man das große goldene Rund
auf der Scheibe als Sonne, beziehen sich die 32 Goldpunkte auf die
Sonne. Rechnet man aber die Sonne zu den Punkten, kommt man auf die Zahl
33, die sich nun auf die goldene Mondsichel bezieht. Hansens
Erkenntnisse widersprechen nicht der bisherigen Deutung durch den
Astronomen Wolfhard Schlosser von der Ruhr-Universität Bochum, dem das
Goldrund als Vollmond gilt. Vielmehr konnte Hansen zeigen, daß vor 3600
Jahren Vollmond und Frühlingsanfang zusammenfielen. „Das heißt, die
Goldscheibe stellt sowohl den Vollmond als auch die Sonne dar“, sagt
Hansen.
Neue Fragen aufgeworfen
Die
Himmelsscheibe von Nebra diente als astronomisches Memogramm, und sie
macht deutlich, daß zumindest einer Elite in der Bronzezeit viel
komplexere Zusammenhänge der Himmelsmechanik bekannt waren als bislang
angenommen. Auch deshalb spricht der Landesarchäologe von
Sachsen-Anhalt, Harald Meller, von einer „spektakulären Neuentdeckung“,
die freilich zu neuen Fragen führt. Woher hatte der Schöpfer der Scheibe
sein astronomisches Wissen, das sich in dieser Tiefe nur über
Generationen erarbeiten läßt? Handelt es sich um Wissenstransfer aus dem
Vorderen Orient? Und weshalb ging das Wissen von der Schaltregel wieder
verloren? Daß dem so war, bezeugt die Scheibe anschaulich: Bei der
Überarbeitung mit den beiden goldenen Balken zerstörte ein Handwerker
das komplexe Bildprogramm, indem er zwei Sterne überdeckte. Und
schließlich: Wozu diente das ursprünglich festgehaltene Wissen? Der Herr
der Himmelsscheibe in ihrer ursprünglichen Gestalt konnte jeden Tag
exakt bestimmen. Verabredete er sich mit anderen (womöglich
Handelspartnern), die dies auch konnten? Gibt es einen kultischen,
religiösen Hintergrund? „Klar ist jedenfalls: Wir unterschätzen den
prähistorischen Menschen immer wieder dramatisch“, sagt Archäologe
Meller.
(Quelle: Eine Veröffentlichung in der FAZ vom 22.2.2006)
Guten Morgen, meine liebe Irmi,
AntwortenLöschendas sind wirklich sehr interessante Hintergrundinformationen zu diesen Funden! Danke, daß Du wieder für uns recherchiert hast!
Ich wünsche Dir einen zauberhaften Tag!
♥ Allerliebste Grüße und eine herzliche Umarmung, Deine Claudia ♥
Moin liebe Irmi,
AntwortenLöschenan Dit ist eine Forscherin verloren gegangen :-). Heute soll es bei mir mal trocken bleiben nach dem vielen Regen.
LG Helga
Das finde ich wirklich eine spektakulären Neuentdeckung und ich frage mich auch immer wie damals schon sowas "gesehen" wurde. Zudem das wohl noch dazu kam das die Forscher sich nicht sicher sein konnten wie das überhaupt bei den Menschen ankommt...werden sie als Hexer, als Lügner hingestellt weil das Vorstellungsvermögen der "hohen Herren" nicht gereicht hat oder wurde es unterstützt.
AntwortenLöschenEin ganz toller sowie interessanter Beitrag für den ich dir danken möchte. Bin ich auch heute wieder etwas schlauer geworden.
Wünsche dir noch einen superschönen Tag und sende viele Grüsse
N☼va
Interesting.
AntwortenLöschenLiebe Irmi,
AntwortenLöschenvon der Scheibe hatte ich schon gehört, aber soviele Details dann auch wieder nicht. Vielen Dank für deine großartigen Ausführungen, das ist ja schon fast eine kleine Doktorarbeit. Man merkt, du liest sehr viel, ich eigentlich auch, aber im Moment hat der Garten Vorrang.
Ganz liebe Grüße
von Edith
☼ LG Rosine
AntwortenLöschenDanke, liebe Irmi, für deine Mühe, diese detaillierten Hintergründe noch aufzuführen. Wahnsinn ! Und das in diesen frühen Jahrhunderten. Ich habe noch keinen anderen Blog gefunden, in dem so viel Wissenswertes vermittelt, wie in deinen. Hab hier schon viel dazu gelernt und dafür danke ich dir nochmals.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Laura
Liebe Irmi, hab vielen Dank für die umfangreiche Ergänzung. Man stelle sich vor, dass alles schafften sie ohne Computer, ohne wiss. Bibliothek, ohne Theodoliten, ohne Observatorium, ohne GPS, ganz allein mit der Beobachtung ihrer Umgebung und des Himmels über sehr, sehr viele Jahre schafften sie es, sich ein Modell anzufertigen, im Jahresverlauf zu überprüfen und anzuwenden. In unseren heutigen Zeit kaum einordbar.
AntwortenLöschendir einen sonnigen Tag heute und ein klare Nacht zur Beobachtung der Sterne,
egbert
;-)
Servus Irmi,
AntwortenLöschenlesen und staunen - die Menschheit wäre nicht auf dem heutigen Stand, hätte es nicht schon immer so "helle Köpfe" gegeben. Leider war und ist vieles nicht gut, was die Menschen als "Fortschritt" erdachten und erdenken!
Schönen Wochenmittetag,
Luis
Liebe Irmi,
AntwortenLöschenauf deinen 2. Teil war ich schon gespannt. Die Geschichte dazu ist aber auch zu interessant. Vieles ist immer noch nicht erforscht.
Liebe Grüße
Paula
Faszinierend, liebe Irmi,
AntwortenLöschenDanke für die ausführliche Information über diese berühmte "Scheibe"!
Hab einen angenehmen Mittwoch und lieben Gruß
moni
Liebe Irmi,
AntwortenLöschendas ist in der Tat sehr sehr interessant wie ich finde! Ich finde das wirklich beeindruckend.
Liebe Grüße
Kerstin
Die Scheibe begleitet mich seit einiger Zeit fast täglich....weil ich sie in Kleinformat an meinem Schlüsselbund hängen habe. Mein Sohn war beim Besuch des Museums in Nebra so fasziniert, dass ich ein Andenken mitgenommen habe. Der Besuch dort lohnt sich unbedingt. Leider vergisst man das meiste nach kurzer Zeit wieder....:-) Dieses Museum gibt es noch nicht so lange. Die Originalscheibe liegt allerdings gut verwahrt in Halle.
AntwortenLöschenhttp://www.himmelsscheibe-erleben.de
LG Sigrun