Mittwoch, 7. März 2018

Dies und Das über Friedrich Nietzsche....

.....der maskierte Philosoph.
In meiner Jugend habe ich seine Schriften geliebt - wie auch viele andere. Heute sieht man ihn in einem anderen Licht.

Bildergebnis für Friedrich Nietzsche - kostenlose Fotos  
(Foto Pixabay) 

Friedrich Nietzsche, das ist der Philosoph mit dem Schnauzbart. So inszenierte er sich auf den Fotografien, die überliefert sind. Mit wuchernder Haarpracht mitten im Gesicht wollte er der Nachwelt in Erinnerung bleiben. Dieses eine, immer wieder variierte und auf merkwürdige Weise gleichsam alterslose Konterfei des Denkers prägt die Wahrnehmung bis heute. Was aber wollte der Philosoph uns Nachgeborenen mit dieser Selbststilisierung übermitteln: seine Radikalität, seine Männlichkeit, seine Entschlossenheit oder – kompensatorisch – seine Schüchternheit?
Wer so fragt, muss die Pointe verfehlen. Nietzsche war ein Meister des Hinterfragens, das er selbst einmal als besondere Kunst des Lesens charakterisierte: «Bei allem, was ein Mensch sichtbar werden lässt, kann man fragen: was soll es verbergen?» Indem Nietzsche das eine Gesicht zur Schau stellte, versteckte er hinter seinem Schnauzbart die vielen Gesichter, die er in seinen Schriften vor seinem Publikum ausbreitete. Nietzsche als Virtuose der Masken, des Spiels, des Experiments – als feiner Ironiker, der seine Leser ebenso herausfordert wie sich selbst: Das ist der Nietzsche, der auch über hundert Jahre nach seinem Tod noch zu entdecken bleibt.
Zu Lebzeiten ein nahezu Unbekannter, hatte Nietzsche nach seiner geistigen Umnachtung im Jahre 1889 nicht nur immer mehr Jünger, sondern auch prominente Leser. Die meisten versuchten sein Werk um einen zentralen Begriff zu gruppieren: Karl Löwith etwa um die ewige Wiederkehr des Gleichen, Martin Heidegger um die Lehre des Willens zur Macht, Gilles Deleuze um Nietzsches Typologie der Figuren, vom Sklaven über den Priester bis hin zum Übermenschen. Doch sie alle scheiterten auf ihre Weise, denn Nietzsche lässt sich nicht systematisieren. Seine angeblichen Lehren sind in Sommers Sichtweise nichts anderes als «intellektuelle und existenzielle Experimente», die dieser unablässig auf ihre Wirkung hin prüfte. Und die Wirkung war bemerkenswert. Nietzsche hatte recht, als er in späten Jahren einmal schrieb, er sei kein Mensch, sondern Dynamit.
Sommer, als Herausgeber des kritischen Nietzsche-Kommentars der Heidelberger Akademie der Wissenschaften zweifellos einer der besten Kenner der Materie, verwirft die in Handbüchern übliche Einteilung in verschiedene Denkperioden. Vielmehr zeigt er, wie Nietzsches Gedanken seit jungen Jahren um dieselben Themen kreisen. Stets geht es um philosophische Selbstreflexion, die das eigene Ich zum Inhalt hat, um Kritik am Christentum, um ein Lob des Mythos, um die Diagnostizierung einer kulturellen Krise der Gegenwart, um eine Zurückführung alles Seienden auf das Gewordensein, um einen Vorrang des Kulturalismus über jede Form von Materialismus oder Metaphysik.
Seine Karriere als öffentlicher, wenn auch zunächst nicht gerade öffentlichkeitswirksamer Intellektueller begann mit seiner Philologie-Professur 1869 in Basel im zarten Alter von 25 Jahren. Kaum hatte er sein Studium beim grossen Philologen Friedrich Ritschl in Leipzig abgeschlossen, wurde er nach Basel berufen – dank Ritschls Vermittlung, doch ohne Promotion. Nietzsche fühlte sich nie wirklich wohl in Basel. Bereits 1876 nahm er ein Jahr Urlaub, und 1879 quittierte er den Dienst, wobei ihm eine Pension in der Höhe von zwei Dritteln des Professorengehalts zugesprochen wurde. Damit liess sich leben – und reisen. Nietzsche liess fortan alles Akademische hinter sich. Er wurde zum philosophischen Grenzgänger und Könner der aphoristischen Form.
Sommer zeichnet mit viel Witz nach, wie Nietzsche sich als eine Art Fortsetzungsschriftsteller betätigte. 1878 legt er mit «Menschliches, Allzumenschliches» ein Werk vor, das kaum rezipiert wird – im ersten Jahr werden bloss 120 Exemplare verkauft. Er plant Neuauflagen mit neuen Anhängen und Vorworten, daraus gehen neue Werke hervor, die ebenfalls Ladenhüter bleiben. Von der «Morgenröte» über die «Fröhliche Wissenschaft» bis hin zu «Also sprach Zarathustra» und «Jenseits von Gut und Böse» – Nietzsche probiert immer wieder neue Denkexperimente und Schreibstile aus, denen der kommerzielle Erfolg versagt bleibt. Halbwegs erfolgreich ist erst das im Jahre 1888 erschienene Buch «Der Fall Wagner», in dem er mit dem einst verehrten Musikgenie abrechnet. Dieser Umstand dürfte Nietzsche nicht nur wegen des Inhalts gefreut haben, denn das Werk hatte er auf eigene Rechnung publiziert.

Zehn Jahre lang schreibt Nietzsche unentwegt, und stets geht es um Alles oder Nichts, um die ersten und letzten Dinge. Er macht sich lustig über die grossen Begriffe wie Wahrheit, Gott und Gerechtigkeit. Doch will er nicht als Erkenntnistheoretiker deren Inexistenz beweisen, sondern als Ironiker zeigen, wie langweilig, unnütz und sinnlos der Glaube daran ist. Zugleich formuliert er in einer philosophischen Gegenbewegung eigene Mythologeme wie die «ewige Wiederkehr des Gleichen» oder die «Umwertung aller Werte», um so die entstandene Lücke zu füllen. Er propagiert sie allerdings nicht im Sinne metaphysischer Lehren, sondern als neue fiktive Deutungsangebote, zu denen er sich selbst und seine Leser verführen will.
Nietzsche hat die neuen Philosophen einmal als «Versucher» charakterisiert, als jene, die Versuche wagen und in Versuchung führen. Darin besteht nach Sommer Nietzsches Novum. Er ist kein Metaphysiker, sondern ein Spieler. Zu diesem Behuf erfindet er ein Schreiben, das sich seine Leser erst erschafft. Er verfährt – je nach eigenem Gestimmtsein – appellierend, mobilisierend und agitierend. Und jeder Leser darf sich nehmen, was ihm passt.

Zuletzt ist Nietzsche, der in seinen schriftlich fixierten Selbstgesprächen sich auch selbst immer wieder überrascht und verführt, vollständig von sich eingenommen. Der experimentelle Philosoph hat sich durch seine Sprachspiele gewissermassen selbst hypnotisiert und ist zu seinem eigenen Schüler geworden – er nimmt das Geschriebene für bare Münze. Das ist zugleich der Moment, in dem er im Januar 1889 vom Wahnsinn übermannt wird.

 Bildergebnis für Nietzsche und die Folgen 


Andreas Urs Sommer zeigt in seinem ebenso kundigen wie vergnüglichen Werk, warum der Philosoph mit dem Schnauzbart zugleich er selbst war – und doch immer auch ein anderer gewesen sein wird.
Es ist ein wirklich lesenswertes Buch, natürlich nur für den, der Nietzsche  mag.
(Quelle: René Scheu von der Neue Züricher Zeitung)


11 Kommentare :

  1. Guten Morgen, liebe Irmi
    danke, ein sehr interessanter Beitrag, ehrlich gesagt,
    habe ich mich nie mit diesem Literaten näher ausesinandergesetzt,
    bis auf ein paar Zitate und Absätze seiner Werke und dass er vor seinem
    Ableben unter Wahnvorsstellungen gelitten hat.

    Ich wünsche dir einen gemütlichen, hoffentlich schmerzfreien Tag.
    LG Sadie

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  2. Moin liebe Irmi,
    danke für Deinen lesenswerten Beitrag - damit habe ich mich noch nie brfasst :-).
    LG Helga

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  3. Der Name ist vermutlich den allermeisten bekannt. Nur Details in der Intensität wie Du sie uns heute aufgeschrieben hast eher nicht. Ist auf jeden Fall interessant zu wissen :))
    Danke für´s zeigen
    LG Heidi
    PS weiterhin gute Besserung für Dich

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  4. So ein Zufall...ich hab mich in letzter Zeit mit Nietzsche sehr eingehen auseinandergestzt! Ich hab eine tolle Doku auch gefunden--seine Schwester hat ja da ihre Finger ganz schlimm im Spiel gehabt!
    Musst Du unbedingt gucken, falls Du es noch nicht kennst:


    HIER

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  5. Meine liebste Irmi,
    ich habe mich mit Nietzsche seit der Schulzeit nicht mehr befaßt. Danke für diesen doch sehr interessanten Beitrag, er hat mich neugierig auf dieses Buch gemacht ;O)
    ღ Ich wünsche Dir einen schönen Tag mit ganz viel Glücksgefühl! ღ
    ♥ Allerliebste Grüße und einen festen Drücker,Deine Claudia ♥

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  6. Ach, wie schön, dass du wieder da bist, liebe Irmi. Du machst aber auch Sachen! Hoffentlich verschwinden die Beschwerden bald ganz. Ich hab auch immer einen Horror davor, es geht halt so schnell.

    Über Nietzsche hatte ich noch nie etwas gelesen, mochte nur seine Gedichte. Danke, dass du nun auch diese Lücke füllst.
    Er hielt am Schluss das Geschriebene für bare Münze. Da kenne ich genug, bei denen das ähnlich ist ... hihi.

    Ein lieber Gruß zu dir und pass auf dich auf!!!

    Andrea

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  7. Ja, einfach hat er es den Lesern nie gemacht und viele Denkanstösse ins Leben gerufen. Allerdings, alles ins Lächerliche zu ziehen, was manchem Menschen vielleicht viel bedeutet, finde ich persönlich auch nicht in Ordnung. Selbst ein so kluger Kopf wie er es war, dem hätte ein wenig Respekt vor dem Nächsten gut getan. Sein Ende ist ja nicht so schön, inwieweit die Schwester daran Teil hat, ist nicht ermittelt worden, dennoch, er ist imemr noch "in".
    Lieber Gruß
    von Edith

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  8. Liebe Irmi,
    Nietzsche polarisiert bis heute!
    Ich habe einiges von ihm gelesen. Natürlich ist man nicht mit allem einverstanden, was er gesagt/geschrieben hat, aber Dein toller Artikel über ihn erklärt doch vieles.
    Angenehmen Tag und weiterhin gute Besserung,
    herzlichst
    moni

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  9. Danke für die ausführliche Information. Einen Spruch von ihm habe ich auf dem Blog: Keiner ist so verrückt, dass er nicht noch einen Verrückteren findet, der ihn versteht.
    LG Elke

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  10. Liebe Irmi,
    Danke für diesen Beitrag. Nietzsche ist und war für mich immer das "wahnsinnige Genie" - und das bitte in seiner positivsten
    Ausführung. Vieles werden wir nie verstehen, hat doch er selbst mit seinem Leben auch keinen Frieden gefunden.

    Liebe Grüße und für Dich weiterhin alles Gute und hab' eine, den Umständen entsprechende Zeit - Frühling wird's und der soll Dich erfreuen.
    Herzlichst Elisabetta

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  11. Guten Abend liebe Irmi. Ich freue mich, dass du wieder da bist und hoffe, dass der Rest Schmerzen auch noch schnell verschwindet. Danke, dass du wieder bloggst.
    Und was für ein Artikel! Den Namen kenne ich, aber ich habe mich noch nie so richtig beschäftigt mit ihm. Wüsste auch nicht, ob wir zu DDR-Zeiten in der Schule was über ihn gelernt haben.
    Hab einen guten und hoffentlich schmerzfreien Abend.
    Herzliche Grüße von Kerstin.

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Ich freue mich über jeden Kommentar und möchte mich auf diesem Weg recht herzlich dafür bedanken. Kommentare sind wie das Salz in der Suppe. Ohne fehlt sehr viel.